Die Änderung der Änderung oder das Versagen der kommunalen Selbstverwaltung
Eine Änderung der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung vom 7. Oktober 2021 musste am 17. Februar 2022 wieder geändert werden. Die erste Änderung war rechtswidrig. Keinem Stadtverordneten war es aufgefallen. Die Fraktionsvorsitzenden, der Stadtverordnetenvorsteher und der Bürgermeister schwiegen dazu. Die Änderung hätte ihnen neue Rechte eingeräumt – zu Lasten der Mehrheit der Stadtverordneten, zu Lasten der demokratischen Selbstverwaltung der Kommunen.
Änderung der Änderung
Die Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung soll in der Stadtverordnetenversammlung am 17. Februar 2022 noch einmal geändert werden. Sie war erst im Oktober 2021 geändert worden, das muss jetzt in einem wesentlichen Teil zurück genommen werden.
Zur Erläuterung für den 17. Februar 2022 heißt es:
Aufgrund von Einwendungen und gesetzlicher Vorgaben ist eine nochmalige Änderung der Geschäftsordnung für die Stadtverordnetenversammlung und die Ausschüsse erforderlich. Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 31.01.2021 über die Änderungen beraten und empfiehlt den vorliegenden finalen Entwurf durch die Stadtverordnetenversammlung zu beschließen.
Welche Einwendungen gab es? Darüber kein Wort in der Erläuterung. Schon im Oktober 2021 wurden keine Angaben gemacht, welche gesetzlichen Vorgaben eine Änderung der Satzung erforderlich gemacht haben sollen.
Im Oktober wurde die Änderung so begründet:
Aufgrund von Änderungen gesetzlicher Vorgaben ist eine Änderung der Geschäftsordnung für die Stadtverordnetenversammlung und die Ausschüsse erforderlich. Den Entwurf mit dem Änderungsmodus fügen wir als Anlage der Beschlussvorlage bei.
Laut Sitzungsprotokoll des Haupt- und Finanzausschusses sprachen Dr. Martin Herbold und Achim Jäger. Der vom Magistrat vorgelegte Entwurf sollte noch die Stellvertreter in der Formulierung aufnehmen, so habe es der Ältestenrat beschlossen. So geschah es – einstimmig.
Der Ältestenrat dient lediglich der Organisation der parlamentarischen Arbeit und fasst keine Beschlüsse zu Sachthemen. Er tagt in der Regel nicht öffentlich. Nach der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) ist er kein Gremium auf kommunaler Ebene.
Über den Beschluss in der Stadtverordnetenversammlung am 7. Oktober 2021 verzeichnet das Protokoll:
Herr Stadtverordnetenvorsteher Thurau ruft TOP 5.1 auf und erläutert den Sachverhalt.
Herr Stadtverordnetenvorsteher Thurau erteilt dem Vorsitzenden des Haupt- und Finanzausschusses, Herrn Marx das Wort.
Herr Ausschussvorsitzender Marx trägt die Beschlussempfehlung des Haupt- und Finanzausschusses vor.
Herr Stadtverordnetenvorsteher Thurau bittet um Wortmeldungen. Es gibt keine Wortmeldungen.
Beschluss:
Der vorliegende Entwurf der Geschäftsordnung für die
Stadtverordnetenversammlung und die Ausschüsse wird beschlossen. Die
Geschäftsordnung tritt mit Wirkung vom 1. November 2021 in Kraft.
Alle 35 anwesenden Stadtverordneten stimmten dieser Satzungsänderung diskussionslos zu.
Im Februar 2022 soll die wesentliche Änderung vom Oktober wieder zurück genommen werden, denn sie war rechtswidrig. Keinem Stadtverordneten war es aufgefallen, auch nicht dem Magistrat und dem Bürgermeister, die Beamte sind und sich verpflichtet haben, das Recht zu beachten.
Wie konnte es dazu kommen?
Keine der Parteien hatte eine Änderung der Geschäftsordnung in die Diskussion gebracht.
Die Vorlage kam vom Ältestenrat und dort vielleicht nicht von den Vertretern der Parteien im Magistrat, sondern vom Bürgermeister.
Aufmerksame Beobachter konnten schon seit längerem feststellen, dass Diskussionen und Beschlüsse nicht mehr wirklich im Stadtparlament stattfanden, alles schien bereits im Vorfeld geregelt und abgesprochen zu sein. Vermutet wurde, dass es in einer Runde aus Fraktionsvorsitzenden, Bürgermeister und Stadtverordnetenvorsteher geschah.
Dies ist genau die Zusammensetzung des Ältestenrates. Der sollte eigentlich nur organisatorische Abläufe abstimmen. Aber wenn man schon mal zusammen sitzt, kann man sich doch auch gleich über die Themen verständigen und das Vorgehen abstimmen und Beschlüsse fassen. Dann braucht in der Öffentlichkeit der Stadtverordnetenversammlung nicht lange vor den Augen der Bürger debattiert werden, man kann Einvernehmen und Geschlossenheit demonstrieren. Außerdem gehen die Sitzungen dann schneller über die Bühne. So mag gedacht worden sein.
Die bereits gehandhabte Praxis sollte jetzt durch ein Änderung der Geschäftsordnung verbindlich geregelt werden. Damit könnte das Ganze auch den Anschein des geordneten und rechtlich einwandfreien Vorgehens erhalten. In der Öffentlichkeit würde man wohl eher als geheime Klüngelrunde bezeichnen.
Dass die Verlagerung von Diskussionen und Beschlüssen in ein nicht öffentlich tagendes Gremium nicht mit den demokratischen Auftrag zu vereinbaren ist, so weit wurde nicht gedacht.
Auch die internen Kontrollen würden versagen, die der Magistrat und der Bürgermeister vorzunehmen haben, wenn die Beschlüsse schon im Vorfeld gefasst wurden. Den Stadtverordneten würde die Möglichkeit genommen, Beschlüsse selbst zu fassen.
Magistrat und der Bürgermeister sind verpflichtet einzuschreiten, wenn Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung dem Recht widersprechen. Wenn sie als Ältestenrat die Beschlüsse selbst fassen, gibt es kein Kontrollgremium mehr.
Die Mitglieder des Magistrats sind Wahlbeamte, der Bürgermeister ist Volljurist, sie können sich nicht auf Nichtwissen berufen. Es war eine vorsätzlicher Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung, ein Angriff auf die Basis der demokratischen Ordnung.
Der Vorgang ist ein weiterer Fall, der zeigt, dass man bei den Beamten und Juristen im Rathaus nicht blind darauf vertrauen darf, dass sie rechtmäßig handeln.
Nachtrag, 10.02. 2022: – 14:30 Uhr siehe auch:
Entmachtung der Stadtverordneten 6. 10. 2021
Kritik am Ältestenrat 23.11. 2016 (schon vor 5 Jahren !)