Verklärung statt Aufklärung – Solarpark-Prozess gegen Ex-Bürgermeister Martin Wagner
Abbildung: Überschrift zu dem HNA-Beitrag vom 11. Oktober 2022
Der Prozess gegen Ex-Bürgermeister Martin Wagner
wirft mehr Fragen auf, als er klärt.
In der HNA wird der Prozess zum 10. Oktober groß auf der Titelseite angekündigt. Die großen Strafkammer des Landgerichts Kassel hat sechs Verhandlungstermine angesetzt. Der Vorwurf lautet Bestechlichkeit in vier Fällen. Das Landgericht ist zuständig für Fälle, bei denen eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und mehr zu erwartet ist. Ansonsten ist das Amtsgericht zuständig.
Erster Verhandlungstag
Am ersten Verhandlungstag verlas der Staatsanwalt die Vorwürfe. Der vorsitzende Richter verwies darauf, dass sich der Beschuldigte auf die Vorwürfe des Staatsanwalts noch einlassen kann. Das könnte zu einem kurzen Prozess führen.
Die HNA titelte in ihrem Bericht zur Eröffnung des Verfahrens:
Richter Matthias Besson schlug die Möglichkeit der Einlassung vor. Wagner oder sein Verteidiger Christian Krug von Einem könnten dann zu den Vorwürfen eine Stellungnahme abgeben, die auf mögliche Motive und Hintergründe eingeht. Sollte es dazu kommen, müsse auch das Bedauern des Angeklagten erkennbar sein, forderte Staatsanwalt Christian Adam.
In diesen Zeilen wird sichtbar, dass Richter und Staatsanwalt deutlich darauf hinwiesen, wie sich Wagner verteidigen könnte, er müsse nur sein Bedauern ausdrücken und ehrenwerte Motive erklären. Und der Hintergrund zu dem ganzen Vorgang muss so sein, dass der Ex-Bürgermeister entlastet wird. Schon nach dem ersten Verhandlungstag fragte die HNA in ihrem Beitrag mit der Überschrift:
Bald Urteil im Fall Wagner? Prozess gegen Ex-Bürgermeister: Richter schlägt Einlassung vor
Die Anklagepunkte des Staatsanwalts
Der Staatsanwalt warf Wagner vor, bei der Bewertung der Nutzungsflächen für die Solaranlagen „ins Blaue hinein falsche Angaben“ gemacht zu haben, um diese als sogenannte Konversionsflächen ausweisen zu können. Ziel sei gewesen, dass dadurch eine höhere Einspeisevergütung an die Investoren fließe. Quelle HNA
Wagner hatte fälschlich behauptet, die Fläche sei durch die vorherige militärische Nutzung im ökologischen Wert nachhaltig belastet. Diese Angaben waren wirklich "ins Blaue hinein" gemacht worden. Sie hatten den Zweck, den Investoren eine höhere Einspeisevergütung zu sichern. Eine Konversionsfläche allein reicht dazu nicht aus, Konversion heißt ja nur eine bisherige Nutzung wird geändert, eine neue Nutzung wird geplant.
Mit dem Geld, das die Betreiber der Solarfirmen gezahlt haben, habe sich Wagner „nicht seine Taschen voll-gemacht“, sagte der Richter. Dennoch gehe es um den Vorwurf der Bestechlichkeit.
Auch wenn sich Wagner nicht die Taschen voll gemacht hat, so hat er doch den Investoren höhere Gewinne ermöglichen wollen. Gewinne, die zu Lasten aller Stromkunden geht, also die gesamten Öffentlichkeit belasten. Gewinne, die durch das Gesetz für 20 Jahr festgeschrieben und damit gesichert sind. Wo gab es auf dem Kapitalmarkt eine solche komfortabel Geldanlage? Gegen diesen hohen Schaden für die Gesellschaft ist der nicht belegte Vorwurf der Bestechlichkeit fast nebensächlich.
Da die Fälle aber zehn Jahre zurückliegen, lasse das die Beweislage durch Zeugenaussagen nicht besser werden, so Besson. Man habe aber zwei große Wannen voll mit Aktenmaterial, betonte Besson.
Die Faktenlage über den Flächenzustand ist von Anfang an eindeutig und klar gewesen. Auf verschiedene Weise wurde versucht, die angebliche Belastung plausibel zu machen. Das ist inzwischen durch ein Gutachten der Staatsanwaltschaft noch einmal bestätigt worden.
Prozessdauer
Die HNA:
Und: Bis zum Prozessbeginn habe es fünf Jahre gedauert, in denen sich Wagner den Vorwürfen ausgesetzt gesehen habe. Dies alles gelte es zu berücksichtigen. Gründe, die im weiteren Verlauf zu dem Urteil führen könnten, dass es sich um einen minder schweren Fall handele.
Warum wird erst jetzt der Prozess eröffnet, nachdem die Faktenlage seit 12 Jahren eindeutig ist?
Siehe das Prüfungsschema der Clearingstelle für das EEG von 2010. Im Hingucker erstmals veröffentlicht am 28. 6. 2012.
Hat die Justiz wirklich so lange gebraucht, um diesen Prozess vorzubereiten, oder hat sie alles liegen gelassen? Jetzt wendet sie ihre langjährige Untätigkeit als Entlastung für den Beschuldigten.
Abbildung: Prüfungsschema § 32 EEG 2009 im Anhang des Empfehlungsverfahrens 2010/2 Solarstromanlagen auf Konver-
sionsflächen aus wirtschaft-
licher oder militärischer Nutzung im Sinne des § 32 Abs. 3 Nr. 2 EEG 2009 bzw. § 11 Abs. 4 Nr. 2 EEG 2004
Weißwäscher am Werk
Der Verteidiger wies darauf hin, dass es Wagner auch um seinen Ruf geht.
Die HNA:
Gegen Martin Wagner, der 2020 in Melsungen eine Pizzeria eröffnete, gab es in seiner Amtszeit öfter Strafanzeigen, die meisten liefen ins Leere. Wegen Manipulation am Fahrtenbuch eines Dienstwagens aber war 2010 ein Strafbefehl über eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen gegen ihn ergangen. Quelle: HNA 11. 10. 2022
Wagner hat 2020 eine Pizzeria in Melsungen eröffnet, schrieb die HNA.
Sie schrieb aber nicht, dass die Pizzeria bereits wieder in Insolvenz gegangen ist, wie schon vorher Wagners Firma in Schwalmstadt. Mit zwei Insolvenzen hintereinander kann bei einem Kaufmann wohl nicht mehr viel vom guten Ruf übrig sein.
Gleichzeitig erwähnt die Zeitung, dass noch ein zweites Verfahren gegen Wagner wegen Corona-Beihilfe laufen würde.
Wie sieht es mit den Strafanzeigen aus, die nicht ins Leere liefen?
Am Anfang seiner Amtszeit beauftragte Wagner einen Mitarbeiter, mit einem städtischen Dienstwagen einen Stadtverordneten aus seinem Urlaubsort abzuholen, damit er in der Stadtverordnetenversammlung die nötigen Ja-Stimmen erhält.
Um das zu vertuschen, waren im Fahrtenbuch Seiten ausgerissen. Im Fahrtenbuch trug Wagner stattdessen fingierte Fahrten in andere Städte ein und zeichnete die Einträge mit seinem Handzeichen ab.
In den weiteren Jahren setzte sich Wagner für Investitionsvorhaben ein, die sich als kriminelle Geschäfte herausstellten:
Für das Projekt Altreifen-Pyrolyse: Dabei ging es um Fördermittelbetrug.
Für ein Firmennetzwerk um Algenzucht: Mit unhaltbaren Versprechungen wurden Kapitalanteile bei Kleinanlegern eingesammelt. Das Geschäftsmodell beruhte auf Anlagebetrug. Etliche Kleinanleger haben ihr Geld verloren und sich beim Hingucker gemeldet.
Grundstücksverkauf an die Panzerverschrottungsfirma BTD:
Für diese Firma war der Anwalt Krug von Einem tätig, er hatte mit der HLG zusammen den Grundstückskaufvertrag ausgehandelt, der am 14. Mai 2014 von den Stadtverordneten beschlossen werden sollte. Der Stadtverordnete Egbert Siebert fragte nach dem Namen des Käufers im Vertrag. Es war nicht die BTD, wie es in den Sitzungsunterlagen stand, sondern ein kürzlich angemeldete Kleinfirma, eine UG mit geringem Haftungskapital, eine Strohmann-Firma.
Als der Verkauf platzte, erschienen der Anwalt Krug von Einem zusammen mit Wagner, der nicht mehr im Amt war – jetzt im Auftrag der Kasseler Rüstungsfirma KrausMaffayWegmann.
Damals schrieb die HNA, Wagner habe die Seiten gewechselt.
Jetzt hat der Anwalt Krug von Einem die Verteidigung von Wagner übernommen.
Zweiter Verhandlungstag
Am zweiten Verhandlungstag warb der Richter bei der Verteidigung dafür, dass sie den Weg mit der Geldbuße folgen sollten. Wagner würde dann nicht als vorbestraft gelten, was für ihn als Kaufmann doch vorteilhaft wäre. Auch der Richter spielte damit indirekt auf den Ruf Wagners an.
Die Zeitung berichtete nicht über diese Verhandlung.
Dritter Verhandlungstag und Einstellung
Der Verteidiger Krug von Einem folgte dieser Empfehlung und erklärte die Motive und den Hintergrund, auf die in einem weiteren Beitrag einzugehen ist.