Politische Justiz : Zwei FĂ€lle aus Homberg
Zwei Vor-Urteile
Fall 1:
Öffentliche Subventionen werden zweckfremd eingesetzt. Die Zeitung berichtet darüber im Sommer 2008. Die staatlichen Stellen werden informiert, nachdem selbst das Ministerium nicht tätig wird, erfolgt im Juni 2009 ein Anzeige. Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf, die zu einer Anklage im Dezember 2010 führen. Wegen der besonderen Bedeutung des Falles soll vor dem Großen Strafkammer verhandelt werden. Dann geschieht nichts mehr. "Das Verfahren (…) ist nicht so eilbedürftig wie beispielsweise Haftsachen." sagt der Pressesprecher der Kassler Staatsanwaltschaft Dr. Götz Wied im September 2011. 36 Monate nach der Tat gibt es noch keinen Gerichtstermin – die Vorentscheidung getroffen wurde, es gibt keine Haftstrafe.
Fall 2:
Im Juli 2010 gibt es eine körperliche Rangelei zwischen zwei Männern. Zeugen des Hergangs gibt es nicht. Nur die Folgen sind nachweisbar: Prellungen im Gesicht des einen, eine gebrochene Rippe bei dem anderen. Den Hergang wird von beiden Kontrahenten unterschiedlich beschrieben, verlässliche Beweise gibt es nicht. Unstrittig ist eine verbale Auseinandersetzung vor dem Vorfall. Obwohl Aussage gegen Aussage steht, ist sich hier die Staatsanwaltschaft sicher, dass es zu einer Haftstrafe führen müsse, denn der Fall wird bereits 15 Monate später verhandelt. Auch hier gab es vor der Gerichtsverhandlung eine Vorentscheidung, dass es sich hier um eine Haftsache handelt, die zügiger entschieden werden muss.
Der eine Fall ist so bedeutsam, dass er vor die große Strafkammer kommen soll, sei aber keine Haftsache.
Im anderen Fall steht Aussage gegen Aussage, doch hier ist sich die Staatsanwaltschaft schon vor der Gerichtsverhandlung sicher, dass es zu einer Haftstrafe kommt wird. Das Verfahren wird vorrangig beim Amtsgericht verhandelt.
Im ersten Fall hat sich ein bereits vorbestrafter Bürgermeister zu verantworten.
Im zweiten Fall ein Kunde eines Jobcenters, -v on Beruf Bankkaufmann. Urteil: 6 Monate Haft ohne Bewährung.
Im Zweifel gegen den Angeklagten?
Im Falle des Kunden scheint der alte Grundsatz nicht zu gelten: Im Zweifel für den Angeklagten.
Aus dem Pressebericht ergeben sich erhebliche Zweifel wer in dem Fall zur Verantwortung zu ziehen ist:
"Voraus gegangen war die Übergabe des Arbeitslosengeldes für den Vormonat in Form eines Schecks. Den Erhalt quittierte der Angeklagte nicht. Daraufhin wollte der 30-jährige ARGE-Mitarbeiter den Scheck zurückhaben. Er ging dem Mann nach und versuchte ihn festzuhalten." HNA 04.10.2011
Erste Frage: Ist die Quittierung der Scheckübergabe im Geschäftsleben üblich und notwendig, gar zwingend? Nein, Schecks werden auch einfach mit dem Brief verschickt. Wenn es das Ziel war, dass der Scheck nicht eingelöst werden sollte, hätte eine Sperrung des Schecks ausgereicht.
Zweite Frage: Sind die Mitarbeiter der ARGE angewiesen, körperliche Gewalt einzusetzen, um einen Kunden zurückzuhalten? Ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt?
"Er ging dem Mann nach", hießt es in dem Zeitungsbericht, der ARGE-Mitarbeiter suchte die Konfrontation, indem er den Kunden körperlich festzuhalten versuchte.
Dritte Frage: Als Folge der Rangelei hat jeder der beiden Kontrahenten Verletzungen davongetragen. Wieso ist die Herbeiführung der einen Verletzung strafwürdig, die andere aber nicht?
Dem Kunden wurde eine Rippe gebrochen. Dazu gehört schon eine gehörige Gewalteinwirkung, doch diese wurde offensichtlich nicht vom Gericht beachtet.
Vierte Frage: Ist das Strafmaß angesichts der Unklarheit des Ablaufs, andererseits des klar zu erkennenden Ausgangsverhaltens des ARGE-Mitarbeiters verhältnismäßig?
Im Oktober berichtet die Zeitung von einem andern Fall von Körperverletzung, der in Fritzlar entschieden wurde. Zwei junge Männer stiegen aus dem Auto, stürzten sich auf ihr Opfer.
Der Angreifer "schlug und trat den 24-Jährigen und soll auch nicht aufgehört haben, als dieser bereits am Boden lag. Der Angegriffene zog sich dabei Gesichts- und Rippenprellungen zu
Für diese Körperverletzung wurde er jetzt vor dem Fritzlarer Schöffengericht zu 60 Tagessätze à neun Euro verurteilt." HNA 13.10.2011
In dem einen Fall eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätze zu 9 Euro, gleich 540 Euro.
In dem anderen Fall, Angriff durch einen ARGE-Mitarbeiter, Aussage steht gegen Aussage über den Tathergang mit dessen Folge eines Rippenbruchs bei dem Kunden und einer Prellung im Gesicht des Angreifers. Urteil 6 Monate Haftstrafe ohne Bewährung für den Kunden mit dem Rippenbruch.
Übrigens, der 57-jährige Kunde war zu diesem Zeitpunkt wegen einer Knieoperation krankgeschrieben, dies war dem kräftigen 30-jährigen ARGE-Mitarbeiter bekannt und war aktenkundig.
Politisches Signal
Mit dem Fall in der ARGE sollte wohl ein abschreckendes Exempel statuiert werden. Zu viele juristische Grundsätze sind hier nicht beachtet worden. Entscheidend war allein die Autorität der ARGE zu stärken, es sollte wohl ein politisches Signal sein und es ist in der Tat ein politisches Zeichen.
Auch das lange hinausgeschobene Verfahren vor der großen Strafkammer für den Bürgermeister ist ein politisches Signal.
Einmal an die Kommunalpolitik, dass ihr Handeln von der Justiz weitgehend toleriert wird, auch wenn Gesetze missachtet werden.
Das zweite Signal: Den Großen lässt man Regelverstöße und Rechtsbrüche durchgehen oder betrachtet sie im milden Licht. Die Lehre daraus, der Ehrliche ist der Dumme. (Ulrich Wickert).