1879 – Vor 140 Jahren: Homberg wird verkehrsmäßig und militärisch vernetzt
Foto: Der Homberger Bahnhof um 1900 mit den Pferdedroschken.
Von Thomas Schattner
Am 16. April 1879 öffnete sich für die Stadt Homberg das Tor zur weiten Welt. An diesem Tag wurde der Homberger Bahnhof als Teil der Berlin-Coblenzer-Eisenbahn (BCE) in Betrieb genommen. Damit verband er beiläufig die Reichshauptstadt des Deutschen Kaiserreichs mit dem Deutschen Eck kurz vor der Grenze zu Frankreich. Finanziert wurde der Bau der Strecke mit französischen Reparationszahlungen nach dem verlorenen Krieg 1870/71 gegen Preußen und seine süddeutschen Verbündeten. Schließlich galt die Verbindung zwischen Preußen und dem Rheinland als strategisch und militärtaktisch wichtig. Für die Militärs stellte sie eine klassische Nachschublinie für eventuelle weitere militärische Auseinandersetzungen mit Frankreich dar. Daher rührt wohl auch die Bezeichnung „Kanonenbahn“ der Zeitgenossen. Die Planungen für die Strecke begannen im Jahr 1872, Bauherr war der preußische Staat.
Am 30. Oktober 1874 wurde mit dem Bau der Strecke begonnen. Fünf Jahre später, im Mai 1879, wurde die Strecke fertig gestellt. Das Bahnhofsgebäude selbst wurde in den Jahren 1877 und 1878 errichtet. Vorläufig ging es nur zwischen Frielendorf und Oberbeisheim hin und her. Aber das sollte sich bald ändern. Am 28. und 29. Juli 1879 fand die „landespolizeiliche Abnahme“ der kompletten Strecke statt. Der 1. August war dann der große Tag. Erstmals erreichten zwei bekränzte und geschmückte Personenzüge morgens um 8.45 Uhr die Kreisstadt. Dementsprechend war das Bahnhofsgebäude mit Fahnen und Girlanden geschmückt. Eine große Menschenmenge aus nah und fern hatte sich zur Einweihungsfeier eingefunden. Im Wartesaal wurden Erfrischungen gereicht.
Foto: Der Homberger Bahnhof um 1900 von der Gleisseite.
Die für die damalige Zeit extrem kurze Bauphase und die extrem schwierigen Geländeverhältnisse stellten die Eisenbahningenieure vor enorm hohe Anforderungen. Das galt besonders für die Überquerung des Efzetals zwischen Relbehausen und Remsfeld. Das Viadukt wurde „als Wunder der Technik“ bezeichnet. In 31 Metern Höhe trugen fünf Pfeiler den zweigleisigen Gleiskörper. Dieser Umstand hat schon in der Bauphase zahlreiche Schaulustige angezogen. Aber auch die Untertunnelung des Höhenrückens zwischen Efze- und Beisetal stellte eine große Herausforderung für die damaligen Ingenieure dar. Schließlich entstand ein Tunnelgewölbe von 916 Metern Länge, welches aus Sandsteinblöcken errichtet wurde. Die Steine lieferte ein Sandsteinbruch in der Nähe des Forsthauses Wüstekirche bei Oberbeisheim. Der dazugehörige Kalk wurde in vier Kalköfen in Niederbeisheim und in der Gemarkung Richtung Wichte gebrannt. Allein der Tunnelbau dauerte drei Jahre. Zu bewältigen war dies nur durch ausländische Gastarbeiter. So waren z.B. Tiroler und Italiener an den Bauarbeiten beteiligt, die in den umliegenden Orten einquartiert waren.
Leider konnte der Bahnhof aber nur in 2,5 Kilometern Entfernung von der Stadt gebaut werden. Deshalb wurden z.B. die Gäste der Hotels „Hessischer Hof“ und „Deutscher Kaiser“ mit Pferdedroschken vom Bahnhof abgeholt. Nach dem Fahrplan vom August 1879 verkehrten täglich zwei Zugpaare auf der Strecke. Sie fuhren vormittags, nachmittags und abends. Nichtsdestotrotz wurden im Jahr 1906 61.500 Fahrkarten am Homberger Fahrkartenschalter ausgegeben.
Foto: Stadt und Bahnhof auf einer Postkarte um 1900.
Und auch städtebaulich war der Bahnhof im Zusammenspiel mit dem im Januar 1879 eingeweihten Königlich-Preußischen Lehrerseminar enorm bedeutsam für die Kreisstadt. Die heutige „Ziegenhainer Straße“ hieß um 1900 offiziell „Bahnhofstraße“. Und in Preußen wurden nahezu alle Bahnhofstraßen zu repräsentativen „Prachtstraßen“, zu „Flaniermeilen“ ausgebaut (siehe hier in Gegend in Bad Wildungen). In Homberg wurde die Bahnhofstraße zur Allee aufgewertet, in dem man beiderseits Linden anpflanzte. Auch heute kann man das noch erkennen. Ursprünglich war der Gehweg doppelt so breit, die heutigen Parkstreifen gehörten zu ihm. Es galt wie in europäischen Großstädten das Motto „sehen und gesehen werden“.
Der Bahnhof im Ersten Weltkrieg
Eine besondere Rolle kam dem Homberger Bahnhof zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 zu. Da man Anschläge zu Kriegsbeginn auf der Strecke zwischen Malsfeld und Treysa befürchtete, wurde zur Bewachung des Bahnkörpers ein besonderer Bahnschutz eingerichtet. Landsturmmitglieder und Freiwillige, also auch Zivilpersonen, führten diesen aus.
Nur wenig später wurde für Truppendurchzüge eine Erfrischungsstation am Homberger Bahnhof errichtet. Als diese am 28. Oktober am Bahnhof wieder abgebaut wurde, hatten etwa 50.000 Soldaten den Bahnhof in Richtung Westfront passiert. Über 1.100 Laibe Brot, mehr als 12.000 Brötchen und 2.300 Würste (im Durchschnitt ein Pfund schwer), etc., waren dort vom Vaterländischen Frauenverein ausgegeben worden.
Im Zweiten Weltkrieg
Die Propaganda-Werbekampagne „Räder müssen rollen für den Sieg!“ der Deutschen Reichsbahn begann im Jahr 1942. Der Hintergrund dieser Kampagne waren steigende Nachschubprobleme der Reichsbahn durch den am 22. Juni 1941 begonnenen Krieg gegen die Sowjetunion. Nicht zuletzt aufgrund dieser logistischen Probleme stocke der Vormarsch der deutschen Truppen im Winter 1941/1942. Deshalb wurde der Slogan der Kampagne auch an zahlreichen Bahnhöfen angebracht (s. Wabern, Fritzlar und Gilsa). Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zierte der Slogan „Räder müssen rollen für den Sieg!“ auch den Homberger Bahnhof.
Mitte der 1970er Jahre begann der Niedergang
Zunächst wurde aus der Hauptstrecke eine Nebenstrecke, später wurden Haltestellen und Bahnhöfe geschlossen, Bahnmeistereien abgeschafft. 1980 stellte das Bundesverkehrsministerium den Personenverkehr auf der Strecke ein. Der Güterverkehr zwischen Homberg und Malsfeld wurde im Jahr 1981 eingestellt. Seit Mai 1987 stand das Bahnhofsgebäude in Homberg leer, später wurde es zu Wohneinheiten umgebaut. Die Gleisanlagen in Richtung Malsfeld wurden abgebaut. Tunnel wurden verfüllt und anschließend vergittert. So endete die Ära des Homberger Bahnzeitalters nach etwas mehr als 100 Jahren schleichend.
Zu den Abbildungen: Sie entstammen alle dem Archiv von Dr. Klaus Lambrecht im Homberg.
Der Homberger Bahnhof
Da werden Erinnerungen wach. Mit dem Schienenbus fuhren wir bis Homberg, um weiterführende Schulen zu besuchen. Zu Fuß ging es durch das Wäldchen, an der Fa. Rothauge vorbei, weiter entlang der Bahnhofstr. bis zur Ziegenhainer Straße. Hier trennten sich die Wege von Realschülern und Gymnasiasten.
Wer genügend Geld hatte, konnte mit dem Bus der Fa. Grau in die Stadt fahren.
Eltern-Taxis waren zur damaligen Zeit sehr rar…..
Schade, dass die Bahnlinie später stillgelegt wurde. Ob Melsungen, Wabern, Singlis, Borken usw., die Bevölkerung dieser Orte ist verkehrstechnisch einfach flexibler.
Wenn eines Tages der Verkehr zusammenbricht, werden vielleicht wieder neue Bahnschienen verlegt. Wer weiß das schon?