Narrenfreiheit
Foto: Narrendeko in der Touristinformation
Wer Gesetze, Regeln, Normen und Anstand ohne Folgen verletzen kann, genießt Narrenfreiheit.
In Homberg scheint die Narrenfreiheit die Oberherrschaft gewonnen zu haben.
Nicht nur, wenn die Karnevalsnarren das Rathaus erstürmen.
Gerade auch im politischen Alltag huldigt die Stadt der Göttin der Torheit, wie schon vor 500 Jahren Erasmus von Rotterdam sein Lob der Torheit schrieb.
# Luxus-Wohnungen in den oberen Stockwerken der Engelapotheke. Die Baukosten müssen zu Mieten im Luxus-Segment führen, wenn es sich rechnen soll. Dafür ist in Homberg kein Bedarf vorhanden.
# Millionen für die Förderung zweier Vereine: Sie wollen das Haus der Reformation und das Burgmuseum in eigenen Räumen aufbauen wollen – auch wenn der Museumsverband das nicht für sinnvoll hält.
# Verkauf eines stadtbildprägenden Wohngebäudes mit mehreren Wohnungen am Markplatz gegenüber dem Kircheneingang (rund 55.000 Euro). Dafür sollen zwei Luxus-Wohnungen in die Obergeschosse der ehemaligen Engelapotehke gebaut werden. Kosten: Das zehnfache des verkauften Wohngebäudes.
# Verlagerung der Stadtbücherei aus der Altstadt an den Stadtrand.
Dazu noch ein Neubau für die Bücherei am Stadtrand, während in der Altstadt der Leerstand zunimmt.
# Falsch vermessene Bauteile für einen nicht vorhandenen Seitenarm der Efze in Holzhausen.
# Von einer Immobilie am Marktplatz, die ursprünglich 200.000 Euro kosten sollte, kauft die Stadt die Ladenflächen im Erdgeschoss als Teileigentum für 180.000 Euro.
Letzte Nutzungsidee: abreißen.
# Eine Immobilie, deren Wert zwischen 100.000 und 300.000 Euro geschätzt war, wurde für 1 Euro an ein gut gehendes Unternehmen verschenkt.
# Kein preiswerter Kindergarten in Grundschulnähe "das ist doch nicht ernst gemeint". Dafür wird zum doppelten Preis auf beengtem Platz in der Altstadt gebaut.
# Für eine Erweiterung der Burgberg-Gaststätte um 40 Quadratmeter und den Umbau der Toiletten werden 240.000 Euro veranschlagt.
Pläne bekommen weder die Bürger noch die Stadtverordneten zu Gesicht.
# 5.000 oder 10.000 Euro Spende wurden angenommen, und dann für den Spender auf eigene Kosten Bäume gefällt und entsorgt. Das sei alles korrekt, auch wenn über die Fällung der Bäume wechselnden Geschichten erzählt wurden: Mal war's die fehlende Verkehrssicherheit, dann war es Planung, dann war es ein günstiges Angebot.
# Die Stadt zahlte einem Planungsbüro rund 25.000 Euro, damit sie zeigen, wo es in Homberg grüner werden kann – während gleichzeitig große, alte Blutbuchen für einen Konsumtempel weichen müssen.
…und so weiter und so weiter.
Die Reformationsstadt ist im Jubiläumsrausch des Reformationsjahres.
Der berühmte Zeitgenosse Luthers, Erasmus von Rotterdam, hatte sich schon damals über die Narreteien seiner Zeit amüsiert. Ein ganzes Buch widmete er der allmächtigen Göttin der Torheit, die schon damals das Zepter schwang und sich köstlich an den Narredeien die Menschen erheiterte.…
„Ihr könnt euch gar nicht denken, wie viel Stoff zum Lachen, zum Spott und zur Heiterkeit die winzigen Erdengeschöpfe den Göttern geben.
Ihr müsst nämlich wissen, dass bis zum Mittagsmahl die Götter nüchtern sind und die Zeit mit Beratungen, die sie unter heftigen Streit führen, hinbringen oder auch wohl die Bitten der Sterblichen anhören.
Nach dem Essen aber, wenn ihnen der Nektar seine Nebelwolken zum Kopf sendet und sie sich mit ernsten Dingen nicht mehr beschäftigen mögen, dann versammeln sich alle am hervorragendsten Punkt des Himmels, um von dort gespannt hinabzuschauen und die verschiedenen Handlungen der Menschen zu mustern.
Es gibt kein ergötzlicheres Schauspiel für sie. Unsterbliche Götter! Ein wie spaßhaftes Theater ist das! Denn auch ich wohne manchmal dieser Göttersitzung bei.“
(Erasmus von Rotterdam, Lob der Torheit, 1509)