Giftunfall: Der Ablauf
Zeitpunkt
nh24 bezieht sich in ihrem Bericht auf die Pressekonferenz der Polizei im Homberger Rathaus gegen 4:00 Uhr, dort wurde als Zeitpunkt des Unfalls 0:30 Uhr genannt.
Nach dem HNA-Bericht vom 17. 2. geschah der Unfall 1:30 Uhr.
Martin Horn beklagt in einem HNA-online Kommentar:: "Es wäre auch hilfreich gewesen, die Feuerwehr früher zu rufen, und nicht erst rund 30 Minuten nach dem Unfall."
Der genaue Unfallzeitpunkt müsste mit den Videoaufzeichnungen der Firma feststellbar sein.
Nachtrag 22.2.2011, 13:52: Bildschirmfoto, siehe HNA-Video 0:45
Unfallhergang
Karambolage
"Nach Erkenntnissen der Polizei war es gegen 1.30 Uhr in einer Halle der Spedition CTL zu dem Vorfall gekommen. Ein Mitarbeiter habe ein 200-Liter-Fass mit einem Gabelstapler transportieren wollen. Dabei bemerkte er eine Beschädigung. Der Mann fuhr mit dem Fass nach draußen und löste Alarm aus." (HNA, 17.2.2011)
Diese Darstellung kann nur auf den Informationen beruhen, die die Polizei von der Person aus der Firma CTL erhalten haben, die den Unfall gemeldete hat.
Diese Darstellung ist falsch gewesen, wie die Firmenvideos zeigen. Die Überwachungskamera zeigt einen Gabelstapler mit Ladung, der gegen die Palette mit zwei Fässern stößt. Es war ein heftiger Stoß, die Fässer schwanken gut sichtbar im Film. (hr 21.2.2011; hessenschau-Beiträge durchgehen bis: "Chemieunfall: Kritik an Einsatzkräften", im Beitrag bei 00:30)
Erste Maßnahmen
Der Staplerfahrer hat die Ladung (Rollen) abgesetzt und eine Palette mit einer Kiste herangefahren, in der sich Bindemittel befindet. An der Unfallstelle sind vier Personen. Ein Mann entnimmt mit einem Eimer Bindemittel und streut es auf den größten Fleck der ausgelaufenen Flüssigkeit. Es scheint bei dieser einen Streuaktion geblieben zu sein, denn die anderen Stellen der ausgelaufenen Flüssigkeit sind nicht abgedeckt.
Der Staplerfahrer fährt danach seitlich an die Palette mit den beiden Fässern heran, hebt die Palette seitlich an, so dass die Fässer umkippen. Die umwickelte Folie reißt, das beschädigte Fass wird zur Seite gerollt, so dass die Leckstelle nach oben gelangt und ein weiteres Ausfließen verhindert ist.
Hier endet der Film.
Bis hierher bemühten sich die vier Arbeiter ein weiteres Auslaufen zu verhindern und machten einen ersten Versuch die ausgelaufene Flüssigkeit zu binden. Sie unternahmen nichts zu ihrem eigenen Schutz. Vermutlich waren sie über die Gefährlichkeit des Stoffes nicht informiert und konnten es auch nicht an den Fässern erkennen. In der Presse werden sie zu den Schwerverletzten gezählt, die ins Krankenhaus gefahren wurden.
Nach den Presseberichten sei anschließend das Fass aus der Halle gefahren worden.
Während der ganzen Zeit müssen die Beschäftigten den Stoff gerochen haben.
Wenn die vier Arbeiter über den Gefahrstoff Informationen gehabt hätten, wie die Firmenleitung pauschal behauptet, dann hätten sie die ausgeflossene Schwefelverbindung nicht mit Bindemittel abstreuen sondern mit Schaum abdecken müssen.
Die Meldung von nh24 "Vier unmittelbar in der Nähe befindliche Mitarbeiter der Firma brachten das tropfende Fass aus dem Hub. Auf dem Weg zum Ablageort und am Ablageort selber traten etwa 30 Liter der Schwefelverbindung aus." Kann so nicht stimmen. Die Flüssigkeit trat in der Halle aus, die Arbeiter hatten dafür gesorgt, dass keine weitere Flüssigkeit austrat. Angesichts ihres Kenntnisstandes haben sie verantwortlich gehandelt und den Schaden begrenzt.
Gefahrstoffbestimmung
Wann und auf welchem Weg wurde festgestellt, um welchen Stoff es sich in den Fässern handelt?
Gab es Aufkleber auf den Fässern?
War es aus dem Frachtpapieren ersichtlich?
Lag ein Sicherheitsdatenblatt entsprechend der EU-Richtlinie bei?
Hierüber ist bisher nichts veröffentlicht worden.
Bevor der Großalarm ausgelöst wurde, musste der Fassinhalt und seine Gefährlichkeit bestimmt gewesen sein.
Das es sich um die das als sehr giftig eingestufte Schwefelverbindung Thiophenol handelt, wurde bisher nur von dem CTL-Vorstand Erich Wietzel in Frage gestellt, "Das ist kein Gift. Es ist ein stinkender Riechstoff."
CTL-Vorstand übt sich im Verharmlosen
Wenn Wietzel angesicht der Verletzten und des unbestritten Gefahrstoffes von überzogenen Reaktionen der Einsätzkräfte spricht, dann zeigt er damit, dass er für den Umgang mit Gefahrstoffen nicht qualifiziert ist. Angesichts einer solchen Gefahrenlage zu sagen, man könne erst am fünften Tag nach dem Unfall, nach Anforderung eines Sachverständigen aus Höchst und der Vorlage von dessen Ergebnissen in der Öffenlichkeit äußern, zeugt von fehlenden Verantwortung in einer unsicheren Gefahrenlage, wo schnelles Handeln erforderlich ist. Genau das haben die Einsatzkräfte getan. Nachdem Wietzel die Einsatzkräfte diffamiert hatte, kann er nicht mehr ernst genommen werden.
Unter der Überschrift „Erste Maßnahmen“ schreiben Sie:
„Wenn die vier Arbeiter über den Gefahrstoff Informationen gehabt hätten, […], dann hätten sie […] die ausgeflossene Schwefelverbindung nicht mit Bindemittel abstreuen sondern mit Schaum abdecken müssen.“
In einem Datenblatt der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) heißt – unter dem Punkt „Schadensfall“ – hingegen:
„Nach Verschütten mit saugfähigem, unbrennbarem Material (z.B. Kieselgur, Blähglimmer, Sand) aufnehmen und wie unter Entsorgung beschrieben verfahren.“
Demnach ist das Abstreuen mit Bindemittel nicht(!) falsch gewesen.
Schaum wird im zitierten Datenblatt lediglich als mögliches Löschmittel genannt.
Quelle: https://tinyurl.com/thiophenol (gischem.de)
In diesem Datenblatt finden sich weitere Hinweise zu „Hygienemaßnahmen“ und dem Umgang mit dem Theophenol:
„Straßen- und Arbeitskleidung getrennt aufbewahren! Bei mittlerer oder hoher Gefährdung durch Hautkontakt zusätzlich:
Verschmutzte und durchtränkte Arbeitskleidung sofort wechseln, Reinigung durch den Betrieb.“
In Anbetracht dieser jedem zugänglichen Information ist es umso unbegreiflicher, wieso manche Einsatzkräfte in „Arbeitskleidung“ nach Hause gefahren sind …
Wenn man davon ausgeht, daß es CTL in erster Linie um Profit geht und nicht um den Schutz der für sie arbeitenden Menschen – oder muss man besser sagen ausgebeuteten Menschen? – so kann man auch das unqualifizierte Gequassel des CTL-Vorstandes verstehen. Der Mann ist in seiner Stellung völlig fehl am Platz. Man sollte die Firma solange schliessen, bis gewährleistet ist, dass sie im Stande ist, den Erfordernissen entsprechend zu handeln.
Siehe dazu auch meine
Kommentare 9 vom 21.02.2011, 11:22 Uhr
und 11 vom 22. 02.2011 09:28 Uhr
https://www.homberger-hingucker.de/?p=3517
Hat man das Fass evtl aus der Halle geschafft, weil man zunächst nur den Gestank loswerden wollte um in Ruhe weiter der Umschlagtätigkeit in der Halle nachgehen zu können ?
Dafür spricht die offensichtlich um etwa 30 min, verzögerte Alarmierung von Polizei und Feuerwehr.
Wäre man zu diesem Zeitpunkt mit ausreichend Informationen über den Inhalt des Fasses gewesen, hätte man den anrückenden Einsatzkräften diese Informationen geben und das erforderliche Gefahrgutmerkblatt samt Begleitpapieren aushändigen können – und müssen !
Die Aufzeichnung bricht vermutlich an dieser Stelle nicht ab.
Sie wurde entweder ausgeschaltet oder man hat die folgenden Minuten gelöscht oder macht sie nicht öffentlich !
Wer hat warum, wann und wieso dann die Feuerwehr alarmiert ?
Meines Erachtens stinkt der Vorgang ganz gewaltig und nicht nur nach Chemie.