HOMBERGER HINGUCKER MAGAZIN

2008 – 2021 Informationen zur Kommunalpolitik in der Kreisstadt Homberg (Efze) – ab 2021 HOMBERGER HINGUCKER MAGAZIN

Festvortrag zu Hans Staden: Halbwahrheiten verbreiten selbst Halbwahrheiten

 
"Gold und Kannibalen"
lautete der Festvortrag zum Hans-Staden-Jahr in Homberg,
den zwei Professoren vorlasen. Der Text war bereits 2022 veröffentlicht.

Neben dem Samba-Festival sollte das ein Höhepunkt sein, mit dem Homberg
seinen Sohn, Abenteurer, Brasilienforscher, Gefangenen, Büchsenschützen und Autor
feierte.
 

Knapp 40 Besucher waren im neu ausgebauten Kultursaal über dem leer stehenden Gasthof Krone erschienen. Von den Stadtverordneten und Mitgliedern des Magistrats war kaum jemand gekommen, nur die Vereinsakteure.

Den Titel "Gold und Kannibalen" wählten die Professoren für ihren Vortrag, weil Kolumbus diese – wie auch viele andere Begriffe – im Reisebericht von Marco Polo über seine Reise und Aufenthalt in China angestrichen hatte.

 Ein mit vielen handschriftlichen Anmerkungen versehener lateinischer Druck von Polos Werk aus dem Besitz von Kolumbus hat sich in Sevilla erhalten (Fernández 1986). Besonders interessiert haben den Admiral bei seiner Lektüre offensichtlich Aussagen zum ungeheuren Reichtum der von Polo beschriebenen Gebiete, aber auch Wundervölker und Kannibalen, […] fanden seine Aufmerksamkeit.


Die Vortragenden interessieren sich für Fake News in Reiseberichten des 16. Jahrhunderts und bei Hans Staden.

In der Ankündigung in der HNA wurde erwähnt, dass es ihnen gerade um den Kontext gehe, in dem die Berichte verfasst wurden. Davon war leider wenig zu erkennen oder der Kontext war sehr eng gezogen und beschränkte sich auf die Literatur. Geschichtliche Fakten und Zusammenhänge wurden nur angedeutet und Wesentliches weg gelassen.
 

Die Gier nach Gold führe zur Entdeckung und Eroberung Amerikas – wirklich?

Die Grundannahme ihres Vortrags: In den Reiseberichten aus der Zeit Hans Stadens ging es nur zum Teil um wahrheitsgemäße Informationen, daneben aber um "abenteuerliche Reise, Gold, Exotik, Begegnung mit Kannibalen" weil es bei der Leserschaft gut ankommt und von solchen Berichten erwartet wird. Diese Berichte aus der unbekannten Welt würde man heute als Halbwahrheiten bezeichnen. Diese Halbwahrheiten würden Erwartungen erfüllen, und die Leser würden in ihren Vorstellungen bestätigt. Das heutige Wort für diesen Prozess ist "Echokammer" oder auch "Wie man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück", oder "was ich erwarte, höre ich".

Es wird sich so darüber hinaus auch zeigen lassen – und das bildet die Grundannahme dieses Beitrags – dass insbesondere genau diese Darstellungen unbekannter Welten, die man aus heutiger Perspektive als Halbwahrheiten bezeichnen könnte, erst den Antrieb für die Entdeckung und Eroberung Amerikas bilden in eben unendlicher (Neu-) Gier nach Gold.

  
Die Fakten

Wo die Verfasser nur Gier nach Gold sahen, sahen sie nicht die Interessen, die zur Eroberung führten:

Investitionen für Innovationen

Kolumbus sagte sich, wenn die Erde eine Kugel ist – was schon in der Antike bekannt war – dann müsse es auch einen Weg nach Indien geben, wenn man Richtung Westen fährt.
Für die von ihn ausgearbeiteten Pläne brauchte er einen Investor, der die Schiffe, die Ausrüstung und den Proviant für die Mannschaft für eine nicht kalkulierbare Zeit finanzierte. Die spanische Krone vertraute dem nicht. Die Portugiesen waren schon schrittweise an der westafrikanischen Küste vorangekommen mit ihren Erkundungen.
Kolumbus fand den Investor in Giannotto Berardi, dem Niederlassungsleiter des Hauses Medici aus Florenz, der auf eigenes Geschäft auch Sklavenhandel für die europäischen Herrscherhäuser finanzierte. Aus den daraus entstandenen Gewinnen gab er Kolumbus einen Kredit. Als Giannotto Berardi starb, schuldete ihm Kolumbus immer noch Geld, wie es in der Notarurkunde festgehalten ist.

Es war nicht einfach "Gier nach Gold", die zu den Seereisen gen Westen führten. Es war der Beginn des Kolonialismus, des Sklavenhandels und des Kapitalismus.

Geopolitische Vormachtstellung

Die weltliche Macht der beiden Seefahrernationen Portugal und Spanien teilten sich die Neue Welt durch Vermittlung des Papstes 1494 im Vertrag von Tordesillas auf. Portugal beanspruchte den östlichen Teil, Spanien des westlichen Teil entlang des Längengrades 46°37′ westlicher Länge. Spanien beanspruchte die Gebiete in Amerika, Portugal die in Afrika.

Karte: Aufteilung der Welt nach dem Vertrag von Tordesillas von 1494

Ausweitung der Kirchlichen Macht durch Missionierung

Die katholische Kirche in Europa hatte das Interesse zu missionieren und die Menschen auf dem fernen Kontinent zum Christentum zu bekehren und dort ihre Macht zu festigen. Wer sich nicht bekehren ließ, war in ihren Augen kein Mensch und durfte keine humane Behandlung erwarten. Die indigene Bevölkerung wurde durch eingeschleppte Krankheiten und durch die Gewalt der europäischen Eroberer und Goldsucher in einem großen Maße dezimiert.

Ausbeutung der eroberten Länder

In der Folge fehlten den erobernden Mächten Menschen, mit denen die Gebiete weiter ausbeutet werden konnten und somit in der Gefahr standen, dass diese Gebiete verloren gingen.
Gefängnisinsassen wurden nach Amerika zur Landbesiedelung verschifft und durften sich dort niederlassen. Doch das allein reichte nicht, der schon eingeführte Sklavenhandel wurde ausgedehnt, es war der Anfang des transatlantischen Sklavenhandels, der bis ins 19. Jahrhundert blühte.

Es waren also nicht nur "Warlords" wie sie in dem Artikel bezeichnet werden, es waren Geschäfte, wie sich beispielhaft an Venezuela zeigt.

Kaiser Karl V war als König von Spaniern automatisch Besitzer von dem damaligen Venezuela (Klein Venedig) geworden. Um als deutscher Kaiser Karl V gewählt zu werden,  musste er sich bei den Welsern und Fuggern in Augsburg hoch verschulden. Er brauchte das Geld, um die Stimmen für die Wahl zum deutschen Kaiser zu kaufen. Da Karl V kein Geld für die Schuldentilgung hatte, bot er den Welsern das Gebiet Venezuela zur Ausbeute an.
In dem Vertrag von 1525 hießt es:

Die Suche nach Eldorado
Kaiser Karl V. Übertrug 1528 Ulrich Ehinge, dem spanischen Faktor der Welser-Gesellschaft, die Statthalterschaft über Gebiete im heutigen Venezuela und Kolumbien. Um die Welser zur Investition zu bewegen, gewährte der Kaiser Vergünstigungen wie das Privileg, 4.000 afrikanische Sklaven einzuführen. Der Vertrag verpflichte die Welser , binnen zweier Jahre zwei Städte mit jeweils 300 Einwohnern zu errichten.(Quelle: Ausstellung Humbold-Forum Berlin )

Zu dem Zeitpunkt, an dem Hans Staden vermutlich in Homberg geboren wurde, wurde bereits der Sklavenhandel nach Amerika ausgeweitet.
 

Halbwahrheiten

Die beiden Professoren wollten die Reiseberichte aus der Zeit Hans Stadens darauf untersuchen, ob sie Halbwahrheiten und Fake News enthalten.

Dabei beschreiben sie Halbwahrheiten als Äußerungen

die nur zu einem Teil auf tatsächlichen Ereignissen,
zu einem anderen aber auf fiktiven Inhalten basieren;
Äußerungen, die reale Sachverhalte übertreiben,
umdeuten oder in falsche Zusammenhänge stellen; oder auch
Äußerungen, die wesentliche Informationen weglassen« (2021: 8).

Indem sie den Antrieb zur Entdeckung und Eroberung Amerikas nur auf die Gier nach Gold zurück führen und die Fakten, die hier nur beispielhaft skizziert sind ignorieren, erfüllen ihre Äußerungen selbst die Kriterien der Halbwahrheit.

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Maria Rosa trifft Hans Staden


Foto: Ausschnitt aus der Titelseite des Katalogs zur Ausstellung

 

Am Rande des Vortrags gab es auch eine erfreuliche Begegnung. Auch der brasilianische Maler Jose de Quadro war mit Freunden aus Kassel zu dem Vortrag gekommen, er wurde offiziell nicht begrüßt, vielleicht kannten die Veranstalter ihn auch gar nicht.

2001 hatte Jose de Quadro einen Gemäldezyklus zu Hans Staden in Homberg ausgestellt, der den Namen trug "Maria Rossa trifft Hans Staden". Es ist die fiktive Begegnung der alten Frau Maria Rossa, als eine Vertreterin der Indigenen,  mit Hans Staden aus Homberg.
Lothar Grigat, Dekan des Kirchenkreises Homberg, hatte damals die Ausstellung organisiert und hoffte damit zum geschichtlichen Verständnis beizutragen.

"Ganz eng zieht der Künstler die Parallelen der kolonialistischen und missionarischen Ereignisse des 16. Jahrhundert zum Schicksal der heutigen indianischen Bevölkerung Brasilien, und dabei vor allem der letzten Überlebenden des Oti-Xavantes -Volkes, Maria Rosa."

Mit der Ausstellung sollte Hans Stadens Herkunft in den Blick kommen, und Gegenstand der Auseinandersetzung, der historischen Erinnerung  der Konfrontation mit dem Schicksal der indigenen Völker Brasiliens werden, schrieb Lothar Grigat.

"De Quadros' verschleiernde Malweise macht dabei deutlich, wie groß die Versuchung  ist, die Vorgeschichte zu vergessen, auch an den Orten der geschichtlichen Person. Die unterschwellige Lust am kollektiven Gedächtnisschwund kann zu einer neuen Herausforderung  werden, sich der Vergangenheit und eben auch ihren Folgen zu stellen."

Die Gegenwart ist nicht verstehbar ohne die Erinnerung an die geschichtlichen Wurzeln:
"Das Geheimnis der  Versöhnung ist die Erinnerung!" mahnte Grigat vor über 20 Jahren.

siehe auch:

Zwölf Sambatänzerinnen zur Feier Hans Stadens

Hans Staden, Brasilienreisender, im Kontext seiner Zeit

Hans Staden in Homberg – Hieronymus Sailer in St. Gallen: Zwei geschichtliche Konzepte

500 Jahre Hans Staden: Ausstellung

Hans Staden soll ab 9. März 2024 in Homberg gefeiert werden

Hans Staden und die wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute in der Neuen Welt

Hans Staden und die Indigenen heute

Hans Staden Jahr – eine Gelegenheit, Gewaltgeschichte aufzuarbeiten

Staden und Samba

Die Lebenssituation der Indigenen Völker Brasiliens – 500 Jahre nach Hans Staden

Vor 20 Jahren Ausstellung: Maria Rosa trifft Hans Staden

Hans Staden-Lesung vor dem Rathaus

“Homberg entdecken” Entdeckungen in der neuen Imagebroschüre


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