Der Ein-Euro-Verkauf – ein teures GeschĂ€ft
Unser finanzieller Spielraum tendiert aktuell gen Null […]
Dementsprechend können wir uns keine teuren Fehler leisten.
Das, was wir tun, muss nicht nur funktionieren –
es muss nachhaltig funktionieren.
Wir müssen bei jeder Entscheidung deren Folgen und
nach Möglichkeit auch die Folgen der Folgen im Auge behalten.
Dr. Nico Ritz, Antrittsrede am 18. Juli 2014
Foto: Agentur für Arbeit am ehemaligen Krankenhaus steht leer. Stsand 15.4.2020
Am 18. Juli 2014 trat der junge Jurist Dr. Nico Ritz sein Amt als Bürgermeister an. Er versprach in seinem Amtseid die Gesetze zu achten. In der anschließenden Antrittsrede wies er auf die hohe Verschuldung der Stadt mit 51 Millionen Euro hin. Der Spielraum der Stadt gehe aktuell gegen Null, "teure Fehler dürften wir uns nicht leisten." Er erbat die 100-Tage-Frist, um sich „die Fakten zusammen zu tragen, den Status quo auszuwerten und darüber nachzudenken.“
Die 100-Tage waren noch nicht abgelaufen, da hatte er bereits rechtswidrig ein großes historisches Gebäude einschließlich Grundstück an ein Homberger Unternehmen zum symbolischen Preis von Ein-Euro „verkauft“ – also verschenkt. Der Grundstücksverkauf wurde nicht öffentlich ausgeschrieben, der Wert des Grundstücks und das Gebäude am Busbahnhof nicht ermittelt. Für die Mieter gab es noch keine Lösung.
Als Gründe für den Verkauf wurde in der Präambel des Kaufvertrages genannt:
„Nach groben und vorsichtigen Schätzungen des Architekturbüros Gerlach in Fritzlar betragen die Sanierungskosten des Dachstuhls ca. 50.000,- €, für den Neueinbau der Fenster ca. 70.000,- € und für die zwingend erforderlichen Brandschutzmaßnahmen ca. 100.000,- €.
Zurzeit ist daher de facto eine kommerzielle Nutzung für die Stadt Homberg nicht möglich. Aus diesem Grunde hat sich die Stadt Homberg entschlossen, den Grundbesitz für einen symbolischen Kaufpreis an den Käufer zu veräußern.“1
Es handelt sich ein historisches Gebäude, dass 1837 als Menage für das neu gegründete Lehrerbildungsseminar errichtet wurde. Je Etage sind 320 qm Nutzfläche vorhanden, zusammen 640 qm, zusätzlich noch das Kellergeschoss. Das dazugehörige Grundstück ist 1.728 qm groß.
220.000 Euro Sanierungskosten schätzte der Architekt, um die 640 qm Nutzfläche kommerziell vermietbar zu machen. Das wäre ein Preis von 344 Euro/qm für die Sanierung.
Diese Kosten waren dem Bürgermeister für die Stadt zu hoch, er sah nur die Möglichkeit, das Grundstück und das Gebäude zu verkaufen. Die Mehrheit der Stadtverordneten folgten dieser Auffassung. Obwohl die Stadt hoch verschuldet war, verlangte sie nicht einmal die Bezahlung des Grundstücks und des Wertes des vorhanden Gebäudes. Allein das Grundstück hat nach der Bodenwertkarte einen Wert von 121.000 Euro (1.728 qm x 70 Euro/qm). Dieser Verkauf für einen Euro erfolgte, obwohl städtisches Vermögen nach der Gemeindeordnung nur zum vollen Wert verkauft werden darf.
Das beschenkte Unternehmen investierte 2,14 Mio. Euro in das Gebäude. Damit wurde es um eine Etage aufgestockt, erhielt einen Aufzug und ein zusätzliches Foyer von ca. 60 qm. Die Nutzfläche der 48 Räume hat sich damit auf 1020 qm erweitert. Bei der Investitionssumme von 2,14 Mio. Euro ergibt das einen Quadratmeter-Baupreis von 2.100 Euro.
Neue Quartiere für die Mieter / teure Ersatzbeschaffung
Die Stadt verlor nicht nur das zentrale Grundstück und das Gebäude, sie musste auch Ersatz für die bisherigen Mieter schaffen, für die dort ausgestellte Sammlung des Vereins Burgberggemeinde, die Übungsräume der Musikschule Schwalm-Eder Nord und für das Büro des Motorsportclubs. Der Bürgermeister sah darin kein Problem: "Ich bin mir absolut sicher, dass uns das gelingen wird" zitierte die HNA Bürgermeister Dr. Ritz im Oktober 2014.
Burgberg-Verein
Der Burgbergverein hatte den östlichen Teil der ersten Etage für seine Ausstellung und Vereinsräume, von den 320 qm Nutzfläche etwa die Hälfte, also 160 qm.
Mit dem Ein-Euro-Verkauf musste der Verein die Sammlung abbauen, verpacken und einlagern, zusätzliche Arbeit, die bei dem neuen Standort wieder anfiel. Die Stadt stellte dem Verein neue Räume zur Verfügung, in der ehemaligen Engelapotheke am Marktplatz überließ sie dem Verein eine Etage des sanierten Gebäudes. Die Stadt übernahm auch die Betriebskosten.
Die Sanierungskosten für die Engelapotheke wurden vorab mit rund 4 Mio. Euro angegeben. Eine Abrechnung über die tatsächlichen Baukosten wurde bis heute noch nicht vorgelegt.
Bei vier nutzbaren Etagen ergibt sich ein Kostenanteil für die 170 qm großen Räume des Burgbergvereins von rund 1 Million Euro. Die Baukosten je Quadratmeter lägen somit bei geschätzt 5.288 Euro. Die Sanierung am vorherigen Standort mit geschätzt 344 Euro je Quadratmeter war der Stadt zu teuer, so dass sie das Gebäude verschenkte.
Musikschule
Am 25. Oktober 2014 berichte die HNA über den erfolgten Beschluss des Ein-Euro-Verkaufs , über den sich der Bürgermeister freute. „Nun müsse man daran arbeiten, für die bisherigen Nutzer des Gebäudes, die Musikschule, den MSC und die Burgberggemeinde eine Lösung zu finden." Die HNA zitierte Bürgermeister Dr. Ritz „ Ich bin mir absolut sicher, dass uns das gelingen wird.“
Während für den Burgbergverein nach fünf Jahren eine Millionen teure Lösung gefunden wurde, müssen sich Schüler der Musikschule auch sechs Jahre später immer noch mit Provisorien zufrieden geben.
Im ersten Jahr wurde die Räume des Neubaus des ehemaligen Rentamtes in der Pfarrstraße angemietet und nach ca. einem Jahr wieder aufgegeben. Die Räume waren zu teuer, zu laut, zu klein.
Im alten Domizil war ausreichend Platz. Die Leiterin der Musikschule fand dort gut, dass zwischen den Räumen für die lauten Instrumenten und den leiseren der Sanitärbereich lag, das verhinderte gegenseitige Störungen.
Zukunftsmusik: Die Musikschule soll einmal in das geplante Multifunktionshaus einziehen. Die Kosten für dies Bauvorhaben wurden schon wiederholt angehoben und liegen jetzt schon vor Baubeginn bei 4 Millionen Euro. Für die Musikschule soll etwa die Hälfte der Räume zur Verfügung stehen, das heißt, die Lösung kostet anteilig rund 2 Millionen Euro, wenn sie gebaut werden sollte.
Motorsportclub
Für das Büro des Motorsportclubs hatte sich recht bald ein Lösung gefunden. Der Club erhielt das Gebäude der Eingangspforte der ehemaligen Ostpreußen-Kaserne. Ob der Club das kleine Gebäude selbst kaufte oder die Stadt es kaufte, ist nicht bekannt.
Die teure Lösung
Bei Amtsantritt waren dem Bürgermeister vorgeblich 220.000 Euro Sanierungskosten viel zu hoch, so dass nur ein Verkauf in Frage kam. Obwohl der Bürgermeister über die hohe Verschuldung der Stadt klagte, forderte er nicht einmal die Kosten für das zentral gelegene Grundstück und den Zeitwert des Gebäudes ein. Stattdessen subventionierte er durch die kostenlose Abgabe des Gebäudes ein wohlhabendes ortsansässiges Unternehmen, das zu dem damaligen Zeitpunkt ein Eigenkapital von 8 Mio. Euro auswies. Der Geschäftsführer erklärte auch, dass der Kauf, der Umbau und die Vermietung das Ziel habe, Rendite zu erwirtschaften. Immobiliengeschäfte gehörten bislang nicht zum Unternehmensgegenstand des lokalen Energieversorgers.
Mit einer Investition von 2,14 Mio. Euro erweiterte die KBG das Gebäude auf 1.020 qm Nutzfläche, die Haustechnik wurde erneuert und ein Aufzug eingebaut Damit sind 48 Räume entstanden, davon 24 Büros für 36 Mitarbeiter der Agentur für Arbeit. Damit kämen auf jeden Mitarbeiter 28 Quadratmeter. Das ist nahezu das Doppelte, was sonst im Bürobereich für einen Mitarbeiter berechnet wird.
Auf dieser erweiterten Nutzfläche wären auch bequem die Musikschule und die Sammlung für den Burgbergverein unterzubringen gewesen. Mit 2,14 Mio. Euro wäre es wesentlich preiswerter gewesen, als in der Engelapotheke und dem geplanten Multifunktionshaus.
Die KBG wäre dann nicht zu ihrem Geschäft gekommen.