Offener Brief an den Landesrechnungshof
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Dr. Wallmann,
als Präsident des Hessischen Rechnungshofes haben Sie vor Jahren angemahnt, bei Investitionsausgaben die Folgekosten nicht zu vergessen. Diese belasten die städtischen Haushalte dauerhaft.
Als Rechnungshof können Sie aus Prüfungen die Lehre ziehen und diejenigen ansprechen, die in der Kommunalpolitik die Entscheidungen treffen.
Ich habe mich angesprochen gefühlt und 15 Jahre lang als Stadtrat und als Stadtverordneter versucht, entsprechend zu handeln.
Bereits im März 2014 beantragte ich einen Tagesordnungspunkt zu vertagen, bis auch eine Aufstellung der Folgekosten vorgelegt wird.
Die Mehrheit der Stadtverordneten lehnte den Antrag ab: „Uns reichen die Informationen.“
Die Kommunalaufsicht erklärte, die Stadtverordneten müssten selbst dafür sorgen, dass sie alle notwendigen Informationen für ihre Entscheidungen erhalten. Wenn sie trotz unzureichender Informationen zustimmen, akzeptieren sie die vorgelegten Informationen als ausreichend.
Es ist eine Mandatsbehinderung, wenn die Stadtverordneten nicht die für eine Entscheidung notwendigen Unterlagen erhalten, auch dann nicht, wenn sie die Unterlagen extra anfordern. Beim Verwaltungsgericht kann gegen diese Behinderung eine Organklage gegen das Organ der Stadtverordnetenversammlung eingereicht werden. Das beklagte Organ, die Stadtverordnetenversammlung, hat die Gerichtskosten zu tragen.
In zwei von solchen Fällen klagte ich als Stadtverordneter beim Verwaltungsgericht Kassel.
Der Stadtverordnetenvorsteher ließ sich dadurch nicht beeindrucken und setzt weiterhin
Themen ohne ausreichende Unterlagen auf die Tagesordnung.
Bei einem dritten Fall weigerte sich der Stadtverordnetenvorsteher dann, die Gerichtskosten zu zahlen. Damit blockierte er den Rechtsweg.
Als Stadtverordneter legte ich die Gerichtskosten aus, um so den Rechtsweg offen zu halten.
Seit fünf Jahren hat das Verwaltungsgericht in keinem der Fälle ein Verfahren eröffnet.
Mit einem Bürgerbegehren hofften Homberger Bürger zu erreichen, dass sie selbst darüber abstimmen können: Soll die Stadt das Risiko tragen, das Kasernengelände zu kaufen und selbst zu vermarkten?
Der Bürgermeister rechnete große Chancen und Gewinne für die Stadt vor. Eine Studie des Ministeriums hatte dagegen alle freiwerdenden Kasernenstandorte untersucht und legte differenzierte Empfehlungen vor. Sie warnte bei diesem Kasernengelände: Für einen großen Teil der Flächen gäbe es keine realistischen Vermarktungschancen.
Die Bürger sammelten ausreichend Unterschriften für ein Bürgerbegehren und verlangten:
Die Bürger sollen selbst entscheiden, ob die Stadt das Gelände kauft.
Der Magistrat beauftragte und bezahlte einen Rechtsanwalt für die Rechtsmeinung, nach der das Bürgerbegehren wegen eines Formfehlers ungültig sei.
Die Bürgervertreter reichten beim Verwaltungsgericht Klage ein, das war vor sieben Jahren.
Ein Verfahren wurde bis heute nicht eröffnet.
Die Stadt kaufte das Gelände für 1,3 Mio. Euro.
Heute belaufen sich die Schulden dafür auf 4,8 Mio. Euro.
Zusätzlich wird die Stadt durch unverkäufliche Grundstücke und Gebäude belastet.
Die Presse interessiert sich nicht für solche Vorgänge, weder die Lokalpresse noch die überregionalen Medien. Auch in der Politikwissenschaft besteht kein Interesse. Ein Politikwissenschaftler erklärte dazu: Mit kommunalpolitischen Themen kann man keine Karriere machen.
Selbst dort, wo Projekte mit Mitteln des Bundes oder der EU gefördert werden, sieht es nicht besser aus. Die Fördermittelgeber schweigen oder beschwichtigen, auch wenn Förderkriterien nicht erfüllt werden und die Kosten aus dem Ruder laufen: Alles habe seine Ordnung.
Wenn Bürger sich in den Protokollen informieren wollen, lesen sie:
„Herr Stadtverordnetenvorsteher T. erläutert die Beschlussvorlage und bittet Herrn M. und Herrn H. die Beschlussempfehlungen des Haupt-und Finanzausschusses und des Ausschusses für Bau, Planung, Umwelt und Stadtentwicklung vorzutragen.
Herr M. trägt die Beschlussempfehlung des Haupt und Finanzausschusses vor. Herr H. trägt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bau, Planung, Umwelt und Stadtentwicklung vor. Herr Stadtverordnetenvorsteher T bittet um Wortmeldungen. Zur Sache sprechen Herr P. Herr B., Frau U., Herr K., Herr G. und Frau M.“
Welche Empfehlungen und welche Argumente vorgetragen wurden, ist nicht zu entnehmen.
Kommunalpolitik wird gern als Schule der Demokratie bezeichnet.
Hier üben Bürger demokratisches Verhalten ein, so die Meinung von verschiedenen Zentralen für politische Bildung. Welche Lehren werden Bürger aus solchen Erfahrungen ziehen?
Sehr geehrter Herr Dr. Wallmann, wie sollen Stadtverordnete unter solchen Bedingungen
Ihrer Aufforderung folgen?