Bruch des Briefgeheimnisses soll unter den Teppich gekehrt werden
Der Bürgermeister hat im Juni Briefe, die an Stadtverordnete adressiert waren, abgefangen und einen geöffneten Brief an den Stadtverordnetenvorsteher übergeben mit der Erklärung, die Briefe werden erst weitergeleitet, wenn die Verwaltung dazu eine Stelungnahme geschrieben hat. Das ist ein Bruch des Grundrechts des Briefgeheimnisses.
Bürgermeister Martin Wagner hat bisher drei Erklärungsvarianten abgegeben.
Variante 1: Er habe angewiesen, dass die Briefe erst zugestellt werden, wenn der Magistrat eine Stellung-nahme zu dem Inhalt verfasst habe, die mit dem Brief an die Empfänger weiter geleitet werden soll.
Variante 2: Gegenüber dem Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks erklärte er, dass Briefe ohne Absenderangaben auf dem Umschlag grundsätzlich in der Verwaltung nicht bearbeitet werden.
Variante 3: Gegenüber dem Rechtsanwalt von Frau Fischer erklärte der Bürgermeister, dass eine Praktikantin die Briefe vernichten sollte, da auf dem Umschlag kein Absender zu erkennen war. Sie habe aber Bürgermeister Martin Wagner einen Brief gezeigt.
Wahrheitssuche wird behindert
Da nur eine Variante wahr sein kann, ist es notwendig alle drei Varianten zu prüfen. Dazu reichte ich am 25. September 2013 eine Anfrage an den Stadtverordnetenvorsteher ein, die dieser vom Magistrat beantworten lassen sollte. Das Recht zu Anfragen ist in der Hessischen Gemeindeordnung geregelt, dort heißt es: "Der Gemeindevorstand ist verpflichtet, Anfragen der Gemeindevertreter zu beantworten." In Homberg ist der Gemeindevorstand der Magistrat, die Gemeindevertreter sind die Stadtverordneten.
Diese Anfrage (Dokumentation am Ende des Artikels) wurde nicht in die nächste Tagesordnung aufgenommen. Zur Begründung hieß es, es könnte ein Ermittlungsverfahren eingeleitet sein. Zu einem schwebenden Verfahren würde man sich nicht äußern.
Selbst wenn der Magistrat dieser Meinung ist, berechtigt das nicht, die Anfrage nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Zu der Anfrage hätte der Magistrat dann seine Auffassung mitteilen müssen.
Die Fragen ab Nr. 7 betreffen nicht den aktuellen Vorgang sondern beziehen sich auf die bestehenden Regelungen der Postbearbeitung. Diese Fragen sind auf jeden Fall zu beantworten, denn die Stadtverordneten haben die Aufgabe "die gesamte Verwaltung der Gemeinde und die Geschäftsführung des Gemeindevorstandes" zu überwachen. (HGO, §50, Abs. 2)
Aussprache zum Bruch des Briefgeheimnisses
Eine Grundrechsverletzung wie der Bruch des Briefgeheimnisses durch den Bürgermeister kann nicht wortlos hingenommen werden. Besonders nicht, wenn der Bürgermeister in den Briefverkehr von Bürgern an die Stadtverordnete rechtswidrig eingreift. Hier ist die Stadtverordnetenversammlung insgesamt gefordert solche Angriffe auf die demokratischen Rechte scharf zurück zu weisen und zu verurteilen. Um dazu Gelegenheit zu geben, beantragte ich eine Aussprache.
Demonstration von SPD und CDU
Der Stadtverordnete rief diesen Tagesordnungspunkt auf und fragte, ob ich noch etwas zum Antrag sagen möchte. Das wollte ich, da die rund 50 Zuhörer bisher darüber keine Informationen haben.
Der Fraktionsvorsitzende Stefan Gerlach (SPD) fiel mir ins Wort und sagte sinngemäß, das sei hier ein Stadtverordnetenversammlung, es hat nicht den Sinn auch die Bürger zu informieren. Während ich den schriftlichen Antrag zusammenfassend vortragen wollte, erhoben sich Stadtverordnete der CDU: Fraktionsvorsitzende Joachim Pauli, Axel Becker, Axel Althaus und Reinhard Fröde und verließen den Raum mit einem lauten Knall der zuschlagenden Tür.
Keine Abstimmung
Über den Antrag zur Aussprache ließ der Stadtverordnetenvorsteher nicht abstimmen. Er meinte das ginge nicht, da die Staatsanwaltschaft gegen den Bürgermeister ermittle. Die Stadtverordnetenversammlung muss gerade in einem Fall des Rechtsbruchs politisch Stellung beziehen und ihre Eigenständigkeit bewahren und ihre Aufgabe, den Magistrat zu überwachen, ernst nehmen.
CDU-Stadtverordneten haben gut sichtbar für die zahlreichen Zuhörer demonstriert, dass sie nicht gewillt sind demokratische Grundrechte zu verteidigen und Verletzungen zu verurteilen.
:: DOKUMENTATION ::
1. Anfrage an den Magistrat
2. Antrag zur Aussprache
zu 1
Fragen vom 25. September 2013 an den Magistrat zur Beantwortung in der Stadtverordnetenversammlung
I. Fragen zum konkreten Ablauf der Bearbeitung der Briefe von Frau Fischer an die Fraktionsvorsitzenden durch den Magistrat
1. Welcher Mitarbeiter hat am 23. Juni 2013 den Briefkasten geleert und den Inhalt in die Poststelle gebracht?
2. Welcher Mitarbeiter hat am 23. Juni 2013 den Posteingang mit Posteingangsstempel versehen und sortiert?
3. Welcher Mitarbeiter hat einen der Briefe, die an die Fraktionsvorsitzenden adressiert waren, geöff-net?
4. Falls der Brief versehentlich geöffnet wurde, warum wurde er nicht sofort wieder verschlossen und mit einer Erklärung unverzüglich an den Adressaten weitergeleitet?
5. Welcher Mitarbeiter übergab den geöffneten Brief und die weiteren an die Fraktionsvorsitzenden ad-ressierten Briefe an den Bürgermeister, obwohl deutlich aus der Anschrift und der Anrede zu erken-nen war, das der Brief nicht an den Bürgermeister gerichtet war?
6. Wer hat die Briefe bis zum 4. bzw. 5. September 2013 verwahrt, bis sie den genannten Empfängern zugestellt wurden?
II. Fragen zum generellen Prozess der Posteingangsverarbeitung und der Sicherstellung der ord-nungsgemäßen Arbeitsabläufe innerhalb des Magistrats
7. Gibt es für die Postbearbeitung eine Geschäftsordnung, Dienstanweisung, Standard Operating Pro-cedure (SOP) oder eine andere schriftliche Form, die den Geschäftsgang regelt?
Wenn ja, ist diese Anweisung der Antwort beizufügen.
Sollte es keinerlei Beschreibung geben, die dien Prozess ausreichend genau beschreibt, dann ist die folgende Frage 8 umfassend zu beantworten.
8. Nach welchen Regeln wird die Post bearbeitet und verteilt? Welche Anweisungen ( Aushang, Mail, Prozessdiagramme, etc) wurden den Mitarbeitern wann erteilt (Anweisungsbelege sind beizufügen).
III. Fragen an den Magistrat, die sich auf Grund der Briefe von Frau Fischer und den Aussagen des Bürgermeisters zu diesem Fall ergeben:
9. Welche eingehenden Briefe/Schriftstücke erhalten keinen Eingangsstempel und wie begründet das der Magistrat?
Aus dem geöffneten Brief von Frau Fischer war eindeutig zu erkennen, dass der Briefinhalt nicht für den Bürgermeister bestimmt war, dennoch hat er ihn gelesen und darauf aufbauend angeordnet, den Brief zu-rückzuhalten.
10. Werden alle eingehenden Briefe dem Bürgermeister vorgelegt, auch die die nicht an den Magistrat adressiert sind?
11. Wie beurteilt der Magistrat diese schwere Verletzung des Grundrechts des Briefgeheimnisses durch den Bürgermeister, der in seinem Diensteid geschworen hat, die Gesetze zu achten?
Der in dem verschlossenen Brief befindliche Hinweis "offener Brief" ist eine Nachricht für den rechtmäßigen Empfänger, der anzeigt, dass der Absender den Briefinhalt ggf. veröffentlichen will. Das ist kein Freibrief für den rechtswidrigen Umgang mit dem Brief.
Nach Aussagen des Bürgermeisters werden Briefe ohne Absender nicht bearbeitet und vernichtet.
12. Wer hat diese Vorgehensweise festgelegt?
(Wenn dieses Vorgehen in einer Dienstanweisung, SOP oder ähnlichem rechtsverbindlich beschrie-ben ist (siehe Frage 7), reicht ein Verweis darauf)
13. Wieso wurden die Briefe von Frau Fischer dann nicht umgehend vernichtet, sondern wurden bis zu einer Stellungnahme des Magistrats zurückgehalten?
14. Umfasst diese Regelung auch Briefe, die an andere Organe der Stadt gerichtet sind?
15. Ist bei dieser Vorgehensweise geprüft, ob sie mit Recht und Gesetz übereinstimmt?
16. Wer entscheidet, ob ein Brief vernichtet wird? Welche Kriterien werden für diese Entscheidung he-rangezogen?
17. Werden Briefe vor der Vernichtung geöffnet?
18. Wie viele Briefe sind im letzten Jahr aufgrund fehlender Absenderangaben oder aus anderen Grün-den unbearbeitet vernichtet worden?
19. Ist dem Magistrat bekannt, dass Briefe nur von denen geöffnet werden dürfen, deren Namen auf dem Briefumschlag genannt ist und dass nur der Briefempfänger über die weiter Behandlung eines Briefes entscheidet.
zu 2
Antrag zur Aussprache
Aussprache über den Bruch des Briefgeheimnisses durch den Bürgermeister
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher Marx,
Bürgermeister Martin Wagner hat im Juni des Jahres Briefe, die an Stadtverordnete adressiert waren, abge-fangen, gelesen und zurückgehalten. Erst nach Aufforderung haben die Stadtverordneten, die für sie be-stimmten Briefe erhalten.
Dies stellt einen Bruch des Grundrechts des Briefgeheimnisses dar.
Der Vorgang ist für das Ansehen und das Vertrauen aller Stadtverordneten und das Gremium der Stadtver-ordnetenversammlung wichtig. Letztlich geht es um die Verteidigung demokratischer Rechte in Homberg.
Bitte setzen Sie in der nächsten Sitzung das Thema für eine Aussprache in der Stadtverordnetenversamm-lung auf die Tagesordnung.
1. Bürger können nach diesem Vorgang in Homberg nicht mehr sicher sein, dass ihre Briefe an die Stadtverordneten diese auch erreichen, wenn sie im Rathaus eingeworfen werden.
2. Die Stadtverordneten sind Organe der kommunalen Selbstverwaltung. Sie haben die Aufgabe, die Arbeit der Verwaltung zu überwachen. Wenn der Bürgermeister die Briefe abfängt, greift er in die Rechte der Stadtverordneten ein und behindert sie in der Ausübung ihrer demokratisch übernom-menen Aufgaben. Die Bürger brauchen ein Zeichen der Stadtverordnetenversammlung, dass ein Eingriff in die demokratische Verfassung der Stadt nicht geduldet wird.
3. Die Organschaft der Stadtverordnetenversammlung ist durch den widerrechtlichen Eingriff des Bür-germeisters beschädigt worden. Für die Bürger ist nicht mehr zu erkennen, dass die Stadtverordne-tenversammlung der oberste Souverän ist. Er sieht nur, dass nicht die Stadtverordneten den Magist-rat überwachen, sondern das Gegenteil, der Bürgermeister die Stadtverordneten.
In der Aussprache können die Stadtverordneten zu dem Vorgang Stellung nehmen. So können die Bürger erkennen, welche Position die einzelnen Stadtverordneten oder die jeweiligen Fraktionen zur Sicherung demokratischer Rechte einnehmen.