Falschinformation: Baukosten Ärztehaus 1,9 Mio. Euro
Der Umbau des ehemaligen Amtsgerichts zu einem Ärztehaus soll 1,9 Mio. Euro gekostet haben.
So steht es in einer Publikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). In Homberg konnten die Stadtverordneten bis heute noch nicht die wahren Kosten mit einem Akteneinsichtausschuss aufklären. Die bisher bekannten Kosten liegen zwischen 5 und 6 Mio. Euro. Für weitere gut 1 Mio. Euro könnten Zugang und Zufahrt der Patienten ordentlich gelöst werden.
Wie kommt die Zahl 1,9 Mio. Euro in die Online-Veröffentlichung des bundeseigenen Forschungsinstituts?
Neuer Link: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2020/bbsr-online-03-2020-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Dokumentation einer Nachforschung
In der Publikation "Anpassung städtischer Infrastrukturen im Stadtumbau unter Wachstums- und Schrumpfungsbedingungen" vom Dezember 2019 ist die Zahl 1,9 Mio Euro erschienen, im Rahmen eines Forschungsprogramms.
"Das Projekt des Forschungsprogramms „Begleitforschung der Städtebauförderung“ wurde vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) durchgeführt."
Homberg ist darin mit zwei Projekten genannt, Ärztehaus und Altstadkindergarten, zu denen jeweils ein Projektsteckbrief veröffentlicht ist.
In dem Steckbrief zum Ärztehaus werden die Kosten mit 1,9 Mio. Euro angegeben.
In der Publikation ist die Abteilung für die Wissenschaftliche Begleitung genannt, das Referat I 2 – Stadtentwicklung beim Bundesamt für Bau und Raumwesen (BBR).
In einer Anfrage vom 11. Mai 2020 fragte ich:
Auf welche Informanten stützt sich die Darstellung?
Warum wurde als Quelle zum Ärztehaus nur das erste Protokoll des Akteneinsichtsausschusses vom 27.09.2017 ,aber nicht das Protokoll der sechsten Sitzung vom 18.08.2018 herangezogen?
Wer hat die Quellen geprüft?
Ist Ihnen die von der Stadt in Auftrag gegebene Studie der designplus Planungsgesellschaft mbH für das Ärztehaus vom Oktober 2019 bekannt?
Die Antwort kam erfreulich rasch und gab Einblick in die Entstehung des Beitrags.
Die Publikation ist Ergebnis eines vom Büro Steg NRW bearbeiteten Projekts, welches neben anderen Untersuchungsbausteinen auch sieben Fallbeispiele einbezieht.
Zur ersten Frage Auf welche Informanten stützt sich die Darstellung?
Im Rahmen der Interviews auf Landesebene wurde Homberg (Efze) vom für das Programm Stadtumbau zuständigen Mitarbeiter des hessischen Landesministeriums empfehlend genannt. Es wurde daraufhin zusammen mit weiteren sechs Fallbeispielen ausgewählt, weil es einen interkommunalen Ansatz und zwei unterschiedliche Vorhaben der städtischen Infrastrukturanpassung in einer größeren Kleinstadt aufwies. Die Darstellung stützt sich auf den Vorortbesuch der Steg NRW im März 2019 sowie auf die verwendeten Quellen entsprechend des Nachweises im Steckbrief. Der Steckbrief wurde im
Nachgang des Vorortbesuchs (2. Quartal 2019) mit Vertretern der Stadtverwaltung abgestimmt.
Zur zweite Frage Warum wurde als Quelle zum Ärztehaus nur das erste Protokoll des Akteneinsichtsausschusses vom 27.09.2017, aber nicht das Protokoll der sechsten Sitzung vom 18.08.2018 herangezogen?
Die Recherche der Steg NRW hat die Quelle nicht aufgezeigt.
Zur dritten Frage Wer hat die Quellen geprüft?
Die Steg NRW hat mit Erstellung der Steckbriefe die Quellen geprüft. Zum Zeitpunkt der redaktionellen Fertigung der Publikation wurde die Auffindbarkeit der Quellen erneut geprüft.
Zur vierten Frage Ist Ihnen die von der Stadt in Auftrag gegebene Studie der designplus Planungsgesellschaft mbH für das Ärztehaus vom Oktober 2019 bekannt?
Die genannte Studie ist mit Oktober 2019 datiert, zu dem Zeitpunkt war die Recherche der Steg NRW zu dem Untersuchungsbaustein „Fallstudien“ abgeschlossen. Die Studie ist nicht bekannt und in den Bericht eingeflossen.
Homberg kam ins Programm, weil ein Mitarbeiter aus dem Ministerium es empfohlen hat. Nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgte, ist unbekannt. Diese Quelle habe ich erst einmal nicht weiter verfolgt.
Erfahrung der Steg-Gesellschaft
Die Hauptarbeit für die Publikation erbrachte die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft NRW mbH (Steg) aus Dortmund, ein Privatfirma. Auf der Homepage der Steg wird die Aufgabe für diese Begleitforschung und die Auswahl der Fallbeispiele so beschrieben:
Fallbeispiele, in denen Fördermittel zur Anpassung von städtischen Infrastrukturen eingesetzt wurden, standen im Fokus dieses Forschungsauftrags.
Es wurden Erkenntnisse zur Bedeutung städtischer Infrastrukturen sowie allgemeine Erfolgsfaktoren oder Hemmnisse bei deren Anpassung dargelegt und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet.
In der Publikation sind zwei Mitarbeiter genannt, die den Forschungsauftrag bearbeitet hatten. In einem Telefongespräch erläuterte mir einer der Bearbeiter den Ablauf.
Im März 2019 gab es in Homberg einen Ortstermin, bei dem die Steg-Mitarbeiter von der Stadt Informationen erhalten hatten.
An dem Gespräch nahmen teil:
Dr. Nico Ritz, Bürgermeister, Wahlbeamter und Vorgesetzter
Heinz Ziegler, einer der beiden Leiter des Bauamtes, Beamter
Christian Gerlach, Architekt im Auftrag der Stadt tätig für den Altstadtkindergarten.
In dem Gespräch informierte der Bürgermeister über die beiden Projekte. Diese Aussagen bilden die Grundlage der Berichte. Im Anschluss an das Gespräch wurde der Altstadtkindergarten besichtigt. Das Ärztehaus haben die Steg-Mitarbeiter nur von weitem gesehen, aber nicht besichtigt.
Damit erhielten sie auch keinen Eindruck von
– der Liegendanfahrt der Dialyse-Patienten über die ungeschützte steile Pflasterrampe
– der Abfallentsorgung in der gegenüberliegenden Straße
– den engen Raumverhältnissen
Im 2. Quartal 2019 ließ Steg den Entwurf für die Projektbeschreibung von der Stadt prüfen. Mit dieser Prüfung bestätigte der Bürgermeister die Richtigkeit der im Bericht enthaltenen Aussagen. Die falsche Baukostenangabe von 1,9 Mio. Euro geht damit auf den Bürgermeister zurück.
Der Bürgermeister hat zu dem Projekt Ärztehaus gegenüber den Mitarbeitern von Steg wesentliche Informationen verschwiegen:
– Die realen Baukosten, die sich im Bereich von 5 Mio. Euro bewegen und noch nicht nachprüfbar abgerechnet wurden. Bereits im Dezember 2014 bezifferte der Bürgermeister in einem HNA-Gespräch die Kosten auf 3,2 Mio. Euro.
– Baukosten für die nachträglichen Baumaßnahmen für den Brandschutz von über 800.000 Euro.
– Der Umzug der Dialysestation vom Altbau in den Anbau mit der gesamten aufwändigen technischen Ausrüstung.
– Die Sperrung von ursprünglich geplanten Büroräumen, für die baulich kein ausreichender Brandschutz möglich war.
– Eine notwendige Optimierung des Ärztehauses für 50.000 Euro, im Oktober 2018 über den Newsletter der Stadt angekündigt.
– Den noch immer bestehenden Akteneinsichtsausschuss, dessen Arbeit unterbrochen wurde, nachdem ein Mitglied des Ausschusses die Staatsanwaltschaft mit zahlreichen Informationen in Kenntnis gesetzt hat.
– Die Einschaltung der Hamburger Anwaltskanzlei Roxin, die die gesamten 56 Aktenordner erhielt, deren Bearbeitung nach Aussagen des Bürgermeisters voraussichtlich mehr als 30.000 Euro kosten würde. Ergebnisse sind bis heute nicht öffentlich bekannt.
All diese Informationen lagen bereits vor, als der Bürgermeister die Fallbeschreibungen zur Prüfung vorgelegt bekam.
Im Oktober 2019 stellt das designplus Planungsgesellschaft m.b.H.Gießen die Ergebnisse seiner Untersuchung des Ärztehauses vor. Um die schlimmsten Mängel zu beseitigen bezifferten sie den Aufwand auf weitere 1,1 Mio. Euro.
Bewertung
Diese Fülle nachweislicher falscher und verschwiegener Informationen zum Ärztehaus kann nicht als Erinnerungslücken, verzeihliche Fehler oder Schludrigkeit durchgehen. Hier hat der Bürgermeister als Beamter wohl bewusst getäuscht. Das ist nicht das erste Mal so.