Engelapotheke: Seit wann sind welche SchÀden bekannt?
"Bei den Freilegungsarbeiten der kompletten Fachwerkkonstruktion, der Decken, Wände und Fußböden im Gebäude Marktplatz 16 sind umfangreiche Schäden zu Tage getreten, die vorher nicht erkennbar waren."
Die Aussage in der Einladung zu einer Sondersitzung besagt nichts anderes als: Es wird teurer, sehr viel teurer als geplant.
Jetzt soll das Projekt neu bewertet werden, heißt es in der Einladung an die Stadtverordneten.
Chronologie
20. Mai 2015 Die WI-Bank hat einen Bewilligungsbescheid für die "Erstellung eines Nutzungskonzeptes" vorgelegt.
9. Juli 2015 Auftrag an Büro WAS, Kassel für die Engelapotheke und das Privatgelände Marktplatz 15 ein Nutzungskonzept zu entwickeln.
Im August 2015 meldet die HNA einen Preis von 720.000 Euro für die Herrichtung der beiden untersten Etagen. Dies ist sei eine grobe Schätzung.
"Das alte Treppenhaus müsse nicht zwangsläufig erhalten werden, das es nicht historisch sei." Dr. Ritz HNA 16.12. 2015
Am 18. 2. 2016 Beschluss, das Sanierungskonzept für das Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss des Architekten Kühne (Büro WAS, Kassel) umzusetzen.
"Die Stadtverordnetenversammlung nimmt die genehmigungsfähige Planung mit Kostenaufstellung des vorgelegten Nutzungskonzeptes zur Kenntnis."
Im März 2016 endete die Ausschreibungsfrist, bis zu der sich Architekten für die Sanierung des Gebäudes bewerben konnten. Die Bauzeit sei von voraussichtlich Mai 2016 bis März 2017 angegeben.
19. 05. 2016: "Der Magistrat hat den Architekten Hess, Neuenstein, beauftragt, die weiteren Planungsleistungen auszuführen. In mehreren Sitzungen wurde [… ] eine Konkretisierung der Planung erarbeitet. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der (barrierefreien) Erschließung."
Am 19. 8.2016 wird von der HNA ein Komplettpreis von 863.000 Euro für die Sanierung angegeben.
Fachwerk-Schadenskartierung
Bei der Auftragsvergabe fällt auf, dass keine Schadenskartierung in Auftrag gegeben wurde. Die sichtbaren Verformungen am Gebäude waren ein Hinweis darauf, dass das statische Gefüge nicht mehr in Ordnung ist. Die Decken und Wände sind in der Regel rechtwinklig gebaut worden, auch in der Vergangenheit. Wenn sie nicht mehr rechtwinklig sind, ist das ein Hinweis, dass Holzverbindungen nicht mehr vorhanden sind, Hölzer gebrochen oder weggefault sind.
Die HNA-Veröffentlichung im August 2016 zeigt 13 Zentimeter Absenkung eines Tragbalkens im Dachgebälk. Die Absenkung war also offen sichtbar. Allein dieser Befund hätte es notwendig gemacht, sofort nach den Ursachen zu suchen.
Am Tag des offenen Denkmals am 11. September 2016 waren Sicherungaussteifungen zu sehen, die bereits eingebaut wurden. Diese Aussteifungen belegen, dass sich jemand mit der Tragfähigkeit des Gebäudes auseinander gesetzt hat. Mit der Sicherungsaussteifung wird auf ein Symptom reagiert, damit ist die Ursache aber noch nicht gefunden.
Ohne Schadenskartierung keine realistische Kostenermittlung
Wer hat es unterlassen, eine Schadenskartierung zu beauftragen? Nach dem sichtbaren Zustand des Gebäudes war das notwendig gewesen. Ohne vorherige Schadenskartierung gleicht die Baumaßnahme einem Blindflug mit allen Risiken.
Bei der Ausschreibung der Sicherung der Scheune in der Salzgasse wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Statiker mit hinzugezogen werden muss. In der Ausschreibung für Marktplatz 16 fehlte dieser Hinweis in der Hessischen Ausschreibungs-Datenbank.
Nur wenn die Schäden fachgerecht erfasst und der Arbeitsaufwand zu Behebung definiert ist, kann eine realistische Kostenermittlung stattfinden. Dies scheint unterlassen worden zu sein. Sicher können bei einem Gebäude im Laufe der Bauarbeiten noch weitere Schäden entdeckt werden. Im Falle der Engelapotheke scheint man aber im Vorfeld keine umfassende Schadenskartierung vorgenommen zu haben. Zumindestens nicht bis zum 11. September 2016 oder bis zur Verabschiedung des Haushalts am 17. Dezember 2016. Die vom Bürgermeister genannten weiteren umfangreichen Schäden waren nicht erst zwischen dem 17. und dem 27. Dezember festzustellen. Sie waren vorher bekannt, wurden aber bei der Verabschiedung des Haushalts verschwiegen.
Leider gelingt es dem Bürgermeister nicht, aus vergangenen Fehlern zu lernen, und korrekt und umfassen zu informieren. Erinnert sei an die Baumaßnahme an der Burgberggaststätte: Der begonnene Bau musste dann eingestellt werden.
Wer trägt welche Verantwortung, Stadt oder HLG?
Formaler Eigentümer der Engelapotheke ist die HLG, sie steht als Eigentümer im Grundbuch. Die HLG ist Auftraggeber für die Architekten, so steht es in der Hessischen Ausschreibungs-Datenbank.
Als Eigentümer und Bauherr hätte sie eine Schadenskartierung und eine realistische Kostenermittlung durchführen müssen. Anscheinend hat das die HLG nicht getan. Der HLG kann es auch egal sein, denn sie trägt kein Risiko, das hat allein die Stadt zu tragen.
Der Bürgermeister und der Magistrat haben die Stadtverordneten unzureichend und unvollständig informiert. Risiken wurden nicht genannt, nicht abgeschätzt und in der Kostenplanung nicht berücksichtigt.
Die Stadtverordneten haben trotz fehlender Unterlagen und fundierter Konzepte allem zugestimmt, was der Magistrat ihnen vorlegte.
Die Folgen, vor allem die späteren finanziellen Belastungen, sind verschwiegen worden. Eine vollständige und umfassende Projektplanung, wie sie der Hessische Rechnungshof immer wieder einfordert, gab es nicht.
Aus den bisherigen desaströsen Bauvorhaben ist nichts gelernt worden. Es gibt noch immer kein System der laufenden Kostenkontrolle und auch keine sachkundige, verantwortliche Entscheidungskompetenz auf Seiten der Stadt. Das ist am Ärztehaus zu sehen.
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